Hallo zusammen!

Was habt ihr in der letzten Woche so an tollen Büchern gelesen, Filme geguckt, Spiele gezockt, Musik entdeckt, Museen oder Veranstaltungen besucht, … ?

  • Wrufieotnak@feddit.orgOP
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    3 days ago

    Chemnitz ist ja dieses Jahr europäische Kulturhauptstadt und ich habe es nun endlich geschafft das erste Mal der Stadt einen Besuch abzustatten. Und ich war recht positiv überrascht. Die originale Altstadt wurde zwar größtenteils zerbombt, aber die öffentlichen Flächen sind recht weitläufig und ansehnlich aufgebaut worden. Überrascht haben mich aber vor allem die Ausstellungen, da ich wesentlich weniger geschafft habe, als ich gedacht hatte, da die so interessant & umfangreich waren.

    Allen voran ist da das smac zu nennen, das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz, in dem ich mal eben schnell 3,5 h zu gebracht hatte bevor ich mich versah. Es sieht erst mal gar nicht nach so viel aus, aber es ist recht gut erklärt und vor allem war auch eine Mitarbeiterin mit rosa Halsband, auf dem “Dialogteam” stand, sehr engagiert und hat viel erzählt und auch manche Anekdote. Also sprecht die ruhig an, die können euch viel erzählen.
    Es wird im Prinzip von den Anfängen der ältesten Funde aus der Altsteinzeit und dem parallelen Existieren mehrerer Menschenarten bis zum Mittelalter ein Bogen gespannt und anhand von Fundstücken das Leben der Menschen zu den verschiedenen Zeiten rekonstruiert.
    Beeindruckt hat mich auch, dass dieses Museum vergangene Ausstellungen in digitaler Form auf ihrer Webseite haben und es dadurch den Menschen ermöglichen sie zu erleben, obwohl sie die verpasst haben. Das würde ich mir von eigentlich allen Museen wünschen!
    Eine Sache die sie noch verbessern können ist, dass es neben der normalen Archäologieausstellung auch noch an den Seiten in jeder Etage zum Bereich an den Schaufenstern geht und dort wird die Geschichte des Gebäudes erzählt. Die Türen sind aber eher schlecht als solche erkennbar, zum Glück haben die Mitarbeiter darauf aufmerksam gemacht. Gebaut wurde es als Kaufhaus der jüdischen Familie Schocken vom jüdischen Architekten Erich Mendelsohn, welchen Verlauf die Geschichte nimmt, ist denke ich klar, aber ich fand es toll aufgearbeitet, da vor allem die Zeit davor dargestellt wird. Um zu zeigen, was da kaputt gemacht wurde. Besonders gut im didaktischen Dinge an dem Teil fand ich, das sie Modelle, Pläne, Skizzen und Bilder der vollständigen Gebäude von Mendelsohn hatten, sodass man wirklich mal den ganzen Prozess nachvollziehen konnte.

    Außerdem war auch das letzte Wochenende des ibug Festival für urbane Kunst. In dem alten Krankenhaus, davor Fabrik, durften sich eine Reihe Künstler austoben. Und ich bereue es nicht, dahin gegangen zu sein, aber ich muss ehrlich gestehen, ich hatte irgendwie mehr erwartet. Einerseits war es thematisch sehr vielfältig, aber dadurch auch diffus und unkoordiniert, anderseits fand ich abseits einiger Ausnahmen die Kunstwerke jetzt auch nicht soooo besonders. Da hätten die Künstler mal im wahrsten Sinne des Wortes sich austoben können, müssen ja eh auf quasi nichts an der Substanz oder dem Gebäude Rücksicht nehmen und dann ist es meistens doch nur Standardkost gewesen.
    Aber wie gesagt, schlecht war es nicht und es war auch schön zu sehen, das es echt gut besucht war und das ganze hatte eine angenehm ausgelassene Stimmung. Im Innenhof war auch Beschallung von DJs und ein paar Wände, wo die Besucher sich mit Graffiti austoben konnten.
    Positiv fand ich auch, dass sie auf Antisemitismus Vorwürfe reagiert haben, indem sie weitere Meinungen eingeholt haben und dann aber auch dementsprechend gehandelt haben und zu den Künstlern gestanden haben, als die Bestätigung kam: Nein, auf den derzeitigen Genozid Israels hinweisen ist nicht automatisch antisemitisch. Das ganze haben sie transparent vor den Werken dokumentiert und Stellung genommen. Vorbildlich, finde ich.

    In der Ausstellung Hallenkunst in der alten Markthalle gibt es eine Ausstellung zum modernen Graffiti, mit sehr detailliert beschriebener Geschichte dieser Kunstform von den Anfängen in New York und auch in der BRD bzw. später dann auch die internationale Perspektive in ganz Europa etwas beleuchtet. Es war definitiv gut und detailliert erarbeitet, das hat mir einen besseren Überblick über diese doch recht junge Kunstform gegeben. Allerdings fand ich es dann doch etwas zu positiv/unkritisch beschrieben, vor allem als es dann dazu über ging, das die Sprayer dann gezielt ganz Europa abgegrast haben um dort, wo noch keine Unsummen für Sicherheit ausgegeben wurde, auch noch zum Zug zu kommen. Oder die Beschreibung das es dann die Methode gab, die Notbremse zu ziehen und dann den Zug während des Haltes zu besprühen. Ohne darauf einzugehen, was das für ein egozentrisches Verhalten ist.
    Sehr gefallen hat mir dann wiederum der zweite Teil der Ausstellung, in der Künstler, die mit Graffiti angefangen haben, ihre modernen Kunstwerke außerhalb des Graffitis vorstellen konnten. Und da waren teilweise sehr tolle Bilder dabei, davon würde ich mir einige in die Wohnung hängen wollen.
    Diese Ausstellung würde ich also trotzdem jedem empfehlen, um sich ein Bild darüber machen zu können. Und die Idee, die besprayten Züge als Modelleisenbahnen nachzubauen, um den Zuschauern die gesamte Perspektive zu ermöglichen ist genial… Aber wer auch immer auf die Idee gekommen ist, bei dem einen Exponat einen zweiten Zug direkt davor zu stellen, sodass man das Graffiti im Prinzip nicht vernünftig sehen konnte… Naja, sollte vermutlich irgendwas verdeckt werden, was nicht jugendfreies oder so. Aber dann wählt halt einfach einen anderen Zug und Motiv aus, so ist es schade um die Arbeit, die sich der Maler da gemacht hat und die dann nicht gewürdigt werden kann.

    Und als letztes noch erwähnt: die Kunstsammlung Chemnitz hat derzeit eine Ausstellung über Edward Munch, die für mich den Künstler ganz gut vorgestellt hat. Ich kannte ihn bisher im Prinzip nur von seinem bekanntesten Werk, Der Schrei. Jetzt habe ich gelernt, dass er auch abseits davon im Prinzip ein sehr melancholisch/depressiver Mensch war und häufig Bilder über die eher negativen Seiten des Lebens gemalt hat. Aber gut, seine Biografie liest sich auch ähnlich zu Caspar Davis Friedrichs: früh mit dem Tod in der Familie konfrontiert.
    Es gab bei dieser Ausstellung auch Bilder moderner Künstler, die ähnliche Themen aufgreifen und da hatten mich vor allem 2 Bilder der tschechischen Künstlerin Lenka Falušiová fasziniert. Sie malte diese so, dass bei denen nicht nur jeder Pinselstrich, sondern jeder Borstenstrich des Pinsels erkennbar ist. Da das Motiv Nadelwälder und Tiere sind, ist dadurch ein wahnsinnig hoher Detailgrad in den Nadeln und Fell/Federkleid erkennbar, zumal der schwarz/ocker Kontrast mit sehr viel schwarz arbeitet und es daher so vorkommt, als ob es im dunklen Wald versteckt sei. Die Bilder auf ihrer Website werden den echten Bildern absolut nicht gerecht, das verlinkte Bild ist eines der zwei.

    Alles in allem werde ich Chemnitz definitiv noch mal besuchen, mindestens um mir noch das Eisenbahn- und das Industriemuseum anzuschauen, das sind für mich zwei faszinierende Themenpunkte. Und der Karl Marx Kopf ist wesentlich größer, als ich immer dachte, das ist schon eine ordentlich beeindruckend großer Klotz.